Über Fraktale
(Alles, was hier steht, entspricht meinem Verständnis der Materie. Irrtümer sind möglich.)
Im folgenden Text möchte ich in aller Kürze umreißen, was Fraktale, wie sie in den Galerien gezeigt werden, eigentlich sind.
Grundsätzlich sind Fraktale mathematische Gebilde, die von Formeln erzeugt werden. Lassen Sie sich davon aber nicht abschrecken. Ich werden versuchen, das Wesentliche in einfacher Weise zu erläutern.
(Die Fußnoten sind für mathematisch Interessiertere gedacht.)
Diese Erklärungen möchte ich am Beispiel der Mandelbrotmenge (des "Apfelmännchens", siehe Bild 1) geben, da mit diesem Fraktal die ganze Entwicklung begonnen hat und es auch ein sehr einfaches Beispiel ist.
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Bild 1: das klassische Apfelmännchen
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Springen in der Ebene
Die geometrische Grundlage der Mandelbrotmenge ist die zweidimensionale Ebene [1]. Man kann eine bestimmte Folge von Punkten dieser Ebene festlegen, indem man zum einen einen Startpunkt und zum anderen eine Berechnungsvorschrift wählt, die aus einem Punkt einen weiteren Punkt berechnet. [2]. Mit dieser Berechnungsvorschrift kann man, ausgehend von dem gewählten Startpunkt, den zweiten Punkt der Folge berechnen. Von diesem aus kann man dann den dritten, von diesem aus den vierten usw. berechnen und erhält so die gesamte Folge.
Die wesentliche Eigenschaft einer solchen Folge ist nun, ob sie "beschränkt" ist. "Beschränkt" bedeutet hier, daß alle Punkte der Folge in einem beschränkten Gebiet (etwa ein Kreis mit bestimmtem Radius) liegen [3].
Die Mandelbrotmenge wird nun bestimmt, indem man mit einer bestimmten Berechnungsvorschrift [4] nacheinander jeden Punkt (bzw. Pixel) eines Ebenenausschnitts als Startpunkt einer Folge nimmt und berechnet, ob die jeweilige Folge beschränkt ist. Wenn die Folge zu einem Punkt beschränkt ist, wird der Punkt schwarz gefärbt. Wenn nicht, erhält er eine Farbe abhängig davon, wie "schnell" (je weiter die "Sprünge", um so schneller) die Folge sich wegbewegt. Die Farben selbst sind dabei frei wählbar; diese Wahlfreiheit ist auch wesentlich bei der Gestaltung eines Bildes.
Die Berechnungen sind dabei so umfangreich, daß sie nur von Rechnern durchgeführt werden können. Ein fraktales Bild hat also in gewisser Weise drei Autoren: die Mathematik (die Natur?), den Computer und den Menschen, der gestaltet. (Die Mandelbrotmenge selbst wurde übrigens durch Zufall bei der Arbeit mit einem Rechner entdeckt.)
Die Fraktale, die in den Galerien gezeigt werden, werden prinzipiell genau so berechnet wie die Mandelbrotmenge, nur mit wesentlich komplizierteren Berechnungsvorschriften [5].
Es ist sehr bemerkenswert, daß man auf solche, eigentlich sehr einfache Weise enorm reichhaltige Gebilde erhält.
Der nächste Punkt befasst sich mit der hervorstechensten Eigenschaft von Fraktalen, der Selbstähnlichkeit.
Selbstähnlichkeit
Selbstähnlichkeit bedeutet, daß man in einem Bild [6] in verschiedenen Größenbereichen immer wieder ähnliche Gebilde findet. (Siehe Bild 2)
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Bild 2: Ein Ausschnitt aus Bild 1, 32-fach vergrößert
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Diese Bilderreihe illustriert der "Abstieg" in eine fraktale Struktur.
Sehr eng mit der Selbstähnlichkeit zusammen hängt auch die "Zerklüftetheit" von Strukturen wie z.B. die Grenzlinie zwischen dem schwarzen und dem farbigen Bereich. (Siehe Bild 3)
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Bild 3: Ein Ausschnitt aus der Grenzlinie in Bild 1
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Damit ist die Grenzlinie übrigens auch unendlich lang.
Die Eigenschaft der Selbstähnlichkeit findet sich auch in der materiellen Natur in mannigfachen Formen, z.B. bei Felsen, Pflanzen, Sand, Wolken, Schneeflocken usw., bei denen man auch - zumindest in bestimmten Größenbereichen - nicht erkennen kann, wie groß ein etwa auf einem Photo gezeigter Ausschnitt ist.
Benoit Mandelbrot selbst spricht von der "fraktalen Geometrie der Natur".
Ein weiteres, sehr bekanntes Beispiel ist die Küstenlinie von England, der man deshalb auch manchmal eine unendliche Länge nachsagt. Da aber eine Küstenlinie aus Atomen, und zwar nur endlich vielen, besteht, ist sie doch nur, da physikalisch, eine Annäherung an eine im mathematischen Sinne fraktale Struktur.
Mehr Informationen
Für weitere Informationen, nicht nur über Fraktale und philosophische Fragen zu Fraktalen (z.B. nach Platonismus und Mathematik), sondern auch zur Physik, zur theoretischen Informatik, zur künstlichen Intelligenz usw. sei das Buch "Computerdenken" von Roger Penrose (engl. "The Emperor's new Mind") empfohlen.
Zur Philosophie der Fraktale
Warum ist die Mathematik in der Lage, die physikalische Struktur der Welt korrekt zu beschreiben? Das ist hier die fundamentale, ungeklärte philosophische Frage. Erfinden wir die Mathematik oder entdecken wir sie? [7]
Fraktale als sinnlich wahrnehmbare Strukturen jenseits mathematischer Abstraktion machen diese Frage besonders augenscheinlich.
Hierzu möchte ich interessante Texte oder Zitate, so sie mir begegnen, an dieser Stelle sammeln.
Beginnen möchte ich mit einem Text von Roger Penrose aus seinem genannten Buch "Computerdenken" (Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, Heidelberg, 1991, S. 92 f):
Sind mathematische Begriffe Platonische Ideen?
Wie "real" sind die Gegenstände der mathematischen Welt? Einerseits scheint es, als könnte überhaupt nichts an ihnen wirklich sein. Mathematische Objekte sind bloß Begriffe; sie sind gedankliche Idealisierungen, zu denen die Mathematiker zwar oft durch das Erscheinungsbild und die teilweise augenfällige Ordnung der uns umgebenden Welt angeregt worden sind - aber um gedankliche Idealisierungen handelt es sich trotzdem. Können sie mehr sein als rein beliebige, vom menschlichen Geist geschaffene Konstruktionen? Andererseits scheinen diese mathematischen Begriffe oft etwas zutiefst Wirkliches an sich zu haben, das weit über die Gedanken jedes einzelnen Mathematikers hinausgeht. Es ist, als würde das menschliche Denken vielmehr an eine ewige, nicht in ihm selbst liegende Wahrheit herangeführt und als besäße diese Wahrheit, die sich jedem einzelnen von uns nur teilweise enthüllt, eine eigene Wirklichkeit.
Die Mandelbrot-Menge ist ein treffendes Beispiel. Ihre wunderbar reichhaltige Struktur wurde weder von einem einzelnen erfunden, noch von einem Mathematiker-Team konstruiert. Als der polnisch-amerikanische Mathematiker (und Vorkämpfer der Theorie der Fraktale) Benoit Mandelbrot die nach ihm benannte Menge untersuchte, wußte er keineswegs von vornherein um ihre phantastische Unerschöpflichkeit; er wußte nur, daß er etwas höchst Interessantem auf der Spur war. Als seine ersten Computerbilder zu entstehen begannen, hatte er sogar den Eindruck, an diesen krausen Strukturen sei ein Computerfehler schuld (Mandelbrot 1986)! Erst später überzeugte er sich, daß sie wirklich zu der Menge selbst gehörten. Überdies vermag kein Mensch die komplizierte Struktur der Mandelbrot-Menge wirklich in allen Details zu verstehen, und kein Computer kann sie vollständig enthüllen. Es hat den Anschein, daß diese Struktur nicht einfach komplett in unserem Geist vorhanden ist, sondern eine eigene Realität besitzt. Jeder Mathematiker oder Computerfan, der diese Menge untersucht, findet Annäherungen an dieselbe fundamentale mathematische Struktur. Was für einen Computer man für die Berechnungen benützt, spielt eigentlich keine Rolle (vorausgesetzt, der Computer funktioniert richtig); freilich können Unterschiede bei Rechengeschwindigkeit, Speicherkapazität und graphischer Auflösung die Feinheit und die Schnelligkeit der Detaildarstellung beeinflussen. Im wesentlichen benützt man den Computer genau wie ein Experimentalphysiker, der einen Versuchsapparat verwendet, um die Struktur der physikalischen Welt zu erforschen. Die Mandelbrot-Menge ist keine Erfindung des menschlichen Geistes: Sie war eine Entdeckung. Wie der Mount Everest ist die Mandelbrot-Menge einfach da!